Protokoll zur 3. Sitzung: David Humes Moral- und Erkenntnistheorie

In der dritten Sitzung des Seminars „Sein und Sollen“ führten unsere ersten Gedanken über David Hume, der von 1711 bis 1776 lebte und durch seine Werke unter anderem heutigen großen Philosophen wie Kant Wege und Motivationen ebnete, zu übergreifenden Diskussionen über die Begriffe „Vernunft“ und „Moral“ und deren möglichen Zusammenhänge, die wir mit unseren Erkenntnissen der ersten Sitzungen zu Kant verglichen. Nach einer kurzen Aufzählung der unterschiedlichen Möglichkeiten und dem Zusammentragen der Gedanken der Sitzungsteilnehmer wiesen wir einer These die grundlegende Idee von David Hume zu: „Vernunft kann Moral nicht erkennen und nicht moralische Handlungen bewirken.“

So distanziert sich Hume von den Annahmen, dass Moral durch vernünftige Zusammenhänge konstituiert wird. Vielmehr ist für ihn Moralität eine Angelegenheit des Gefühls. Um dies in einem Beispiel zu veranschaulichen wählten wir in dem Wiki-Seminar ein Szenario aus, in dem wir entscheiden konnten, ob wir einen kleinen Schnitt in einen unserer Finger bekommen wollen oder eine Stadt mit mehreren tausend Menschen zerstört werden soll. Laut Hume widerspricht es der Vernunft nicht, wenn wir die Möglichkeit vorziehen, dass wir die Stadt mit mehreren tausend Menschen zerstören sollten, um uns vor eigenem Leid zu schützen. Hume schreibt darüber in seinem Traktat über die menschliche Natur: „Es läuft der Vernunft nicht zuwider, wenn ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will, als einen Ritz an meinem Finger. Es widerspricht nicht der Vernunft, wenn ich meinen vollständigen Euin auf mich nehme, um das kleinste Unbehagen eines Indianers oder einer mir gänzlich unbekannten Person zu verhindern. Es verstößt ebensowenig gegen die Vernunft, wenn ich das erkanntermaßen für mich weniger Gute dem Besseren vorziehe und zu dem Ersteren größere Neigung empfinde, als für das Letztere.“ (Traktat II, S. 154)

Humes Auffassung des Verhältnisses von Moral und Vernunft kann nur vor dem Hintergrund seiner empiristischen Erkenntnistheorie verstanden werden. Das Erlangen von Erkenntnis nach Hume stellten wir in einer Gabel („Hume’s fork“) mit zwei Zweigen dar, was die zwei unterschiedlichen Methoden veranschaulichen sollte. Auf der einen Seite haben wir Erkenntnis, die mit Vergleichen unter Einbezug der Vernunft erlangt wird. Dies geschieht durch das Vergleichen von Begriffen, wie zum Beispiel die Definition eines Junggesellen, von dem wir sagen können, dass er und alle anderen existierenden Junggesellen unverheiratet sind. Hume bezeichnet diese Art der Erkenntnis als „relations of ideas“. Zwar können wir relations of ideas unabhängig von Erfahrung wissen. Doch ist dieses Wissen in der Regel trivial (nicht gehaltserweiternd). Der andere Zweig von Humes Gabelung führt zu neuem, empirisch erlangten Wissen. Nach Hume gilt, dass Eindrücke („impressions“) stärker als Vorstellungen („ideas“) sind, wobei man eine Vorstellung von etwas, mit einem schwachen Abbild von seinem Eindruck gleichstellen kann. So kann man Wissen, bzw. Erkenntnis auch empirisch erlangen. Hume bezeichnet diese Art der Erkenntnis als „matters of facts“. Es ist wichtig zu unterscheiden, dass man nach Hume mit dem Vergleichen von Begriffen, im Gegensatz zum Verknüpfen von Perzeptionen, also Wahrnehmungen, keine gehaltserweiternde („synthetische“) Erkenntnis erlangen kann. Hume schreibt dazu: „Wären das Denken und der Verstand allein fähig, die Grenzen von Recht und Unrecht zu bestimmen, so müßte das Wesen der Tugend und des Lasters entweder in gewissen Beziehungen der Objekte liegen, oder eine Tatsache sein, die auf dem Wege des Schlusses entdeckt wird. Diese Folgerung ist klar. Die Tätigkeit des menschlichen Verstandes zerfällt [ja] in diese zwei Arten, das Vergleichen von Vorstellungen und das Schließen aus Tatsachen. Würde die Tugend durch den Verstand entdeckt, so müßte sie [also] Gegenstand der einen oder der anderen dieser Tätigkeiten sein; es gibt keine dritte Tätigkeit des Verstandes, die sie entdecken könnte.“ (Traktat II, S. 204)

Kommentare

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  • Eine sehr schöne Zusammenfassung der Sitzung! Insbesondere über „Hume`s Fork“ musste ich mir erst einmal klar werden, um die Moralphilosophie Humes zu verstehen. So fasst Hume die zunächst sehr verschieden anmutenden „Tätigkeiten des Sehens, Hörens, Urteilens, Liebens, Hassen und Denkens“ als „Perzeptionen“ zusammen (Traktat III, S. 196). Damit sind Bewusstseinsakte des Geistes gemeint, die aber nach Hume ganz klar von der Vernunft getrennt seien. Die Perzeptionen stehen für sich und verweisen auf nichts anderes. Die Vernunft hingegen kann werten im Sinne von Irrtum und Wahrheit. Z.B. kann sie darüber reflektieren, ob eine Handlung gemäß eines Sittengesetzes erfolgt, aber der Maßstab für das Sittengesetz liegt nicht in der Vernunft, sie ist nicht Ursache für die Moral. Klar geworden ist mir das im anschließenden Tutorium, wo wir die Moralphilosophie mit Humes Induktionsproblem verglichen haben. Immer wenn A, dann B: Darin liegt nur eine beobachtbare Regularität. Die Kausalität „sehe“ ich nicht. Ebensowenig kann ich dem Mord das Laster nicht „ansehen“, sondern nur Affekte, Motive, Handlungen. (vgl. Traktat III S. 210).
    Wenn Moral im Gefühl seine Ursache hat, ist sie natürlich sehr subjektiv. Hume nimmt zwar einen „moral sense“ als anthropologische Konstante an, aber man könnte ihm natürlich Personen wie Marquis de Sade entgegenhalten.
    Hume: “ Was aber unseren Fall betrifft, so können wir nur behaupten, wenn es je etwas gab, das in solchem Sinne natürlich genannt werden könnte, so sind dies unsere sittlichen Gefühle; denn es hat niemals ein Volk oder ein einzelnes Individuum in einem Volk gegeben, das ganz ohne dieselben gewesen wäre, und bei dem niemals und in keinem Fall, ein, sei es noch so geringer Grad von Zustimmung oder Missbilligung menschlichen Verhaltungsweisen gegenüber zutage getreten wäre. Diese Gefühle wurzeln so tief in unserem Wesen und in unserem Gemüt, dass sie ohne gänzliche Vernichtung des menschlichen Geistes durch Krankheit oder Wahnsinn nicht ausgerottet und zerstört werden können.“ (Traktat III, S. 216). In Anbetracht der Konzentrationslager und organisierten Massenmorde des 20. Jh. muss man sich fragen, ob Humes Menschenbild noch Gültigkeit hat. Oder erliegt er hier selbst dem Induktionsproblem? Es gibt wohl doch schwarze Schwäne.

  • Den letzten Satz im 1. Absatz des Protokolls, möchte ich gern, mit der sechsletzten Zeile im letzten Absatz des Protokolls spiegeln (also mit dem dritten), um danach, daran anschließend einen kurzen Ausflug in die Logik vorzunehmen, und so das ganz konkrete, und sehr spezifische Humesche Verhältnis von Vernunft und Moral etwas enger präzisiert abzubilden, um damit die Grundlagen für meinen, erst danach konstatier- und konkludierbaren eigenen Schluss vorzubereiten, mit dem ich, der von Andreas im Kommentar geäußerten These `Humes Moralvorstellung sei subjektiv´, deutlich widersprechen möchte.
    Im ersten Absatz vom Protokoll, lautet die letzte Zeile:
    „Vernunft kann Moral nicht erkennen und nicht moralische Handlungen bewirken.“
    Im dritten Absatz vom Protokoll, lautet die sechstletzte Zeile:
    „Wären das Denken und der Verstand allein fähig, die Grenzen von Recht und Unrecht zu bestimmen, so müsste (…)“
    Im ersten Satz, ist nach den Maßstäben der Logik das Unvermögen, der Vernunft Moral zu erkennen, oder moralische Handlungen zu bewirken nicht eingegrenzt (nicht beschränkt), das bewirkt den Charakter eines Allsatzes, nach der Formel: `Immer dann, wenn nur die Vernunft allein Moral erkennen soll, oder moralische Handlungen bewirken, dann scheitert sie.´
    Im zweiten Beispiel repräsentieren, die von Hume verwendeten Begriffe `Denken´ (Tätigkeit) und `Verstand´ (Ausstattung), paraphrasierend das (Leistungs-)Vermögen der Vernunfterkenntnis, hier kommt er also zu dem Ergebnis, dass das Unvermögen der Vernunft bezogen auf Moral beschränkt ist (zwar `nicht allein´ nur die Vernunft; dazu muss noch notwendigerweise das Gefühl kommen; AV.: aber vielleicht bewirkt dabei die Vernunft anteilig Moral), das bewirkt logisch den Charakter eines Es-gibt-einige-Satzes, nach der Formel: `Wenn Vernunft allein unvermögend ist, bezogen auf Moral, so kann sie dennoch anteilig vermögend sein (AV.: und zwar dann, wenn die Vernunft bei der Moralerkenntnis, unterstützt wird durch das Gefühl).
    Damit haben wir die Eckpfeiler unseres Bewertungskoordinatensystems.
    1. Die Vernunft kann es nicht allein.
    2. Aber die Vernunft ist bei Moralurteilen nicht komplett unbeteiligt, sondern anteilig beteiligt (moral reasons & moral sentiments).
    Wenn es gute Gründe gibt, dann ist die Vernunft am Zuge (die Moral dient, bei David Hume, ausschließlich nur dazu das Zusammenleben aller Menschen einer Gesellschaft, friedfertig, und umgänglich zu gestalten).
    Wo es keine guten Gründe gibt (AV.: also dort wo die Vernunft arbeitslos ist), dafür ein adäquates Moralurteil überhaupt fällen zu können, und somit auch, diese `nicht vorhandenen´ guten Gründe, nicht allein nur durch sorgfältiges `Vernunfträsonieren´ gegeneinander abgewogen werden könnten, dort hat bei Hume immer das Gefühl den ultimativen vorrang: `Reason is, and ought only to be the slave of the passions´ (AV.: genauso wie später auch bei Adam Smith).
    Warum ist die Humesche Moral nicht subjektiv?
    Weil sie intersubjektiv ist.
    Warum ist die Humesche Moral nicht relativistisch?
    Weil sie über die Intersubjektion, objektiviert, und zwar zu einem `unparteiischen Dritten´ hin [(AV.: der von Adam Smith (1759), in seiner `Theorie der ethischen Gefühle´, zwar erstmalig 8 Jahre später namentlich als ein `unparteiischer Beobachter´ erwähnt wird, der aber, durch den konkreten Weg (durch die Methode) der adäquaten moralischen Urteilsfindung, bei David Hume (1751) in `Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral´, bereits genau so angelegt ist)].
    Wie funktioniert die Humesche Intersubjektion des adäquaten Sittlichkeitsurteils?
    Hume kennt drei zu beachtende Dimensionen:
    Die 1. Dimension, bei Hume besteht (aus) `Von Eigenschaften, die uns selbst nützlich sind´
    Die 2. Dimension, bei Hume handelt `Von Eigenschaften, die uns selbst unmittelbar angenehm sind´
    Die 3. Dimension, bei Hume handelt `Von Eigenschaften, die anderen unmittelbar angenehm sind´
    Irrtümer über Hume:
    Bezogen auf die 1. Dimension ist behauptet worden, die Humesche Nützlichkeit sei reiner Eigennutz oder gar ausufernde Selbstsucht, begründet wurde das mit: `Es läuft der Vernunft nicht zuwider, wenn ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will, als einen Ritz an meinem Finger´
    Hier liegen zwei Denkfehler begraben:
    Hume denkt in diesem Moment nicht an Verursachung, d. h. er räsoniert allein darüber: `Ob mich der Ritz an meinem Finger, mehr betrifft als die Zerstörung der ganzen Welt?´ => Wenn ich weder den Ritz in meinem Finger, noch die Zerstörung der ganzen Welt will, dann ist das moralisch, wenn ich den Ritz nicht selbst an meinem Finger verursache, dann ist das für mich nützlich (s.o. die 1. Dimension: Von Eigenschaften, die uns selbst nützlich sind) und wenn ich, die Zerstörung der ganzen Welt nicht selbst verursache, dann ist das bei David Hume zum einen vorrangig Gesetzestreu (AV.: die Humesche Moral kann auf das positive Recht nicht verzichten, aber er ordnet dabei, die Moral nicht etwa dem Gesetz unter, sondern er weist vielmehr der Moral bezogen auf die besondere Friedfertigkeit, und Umgänglichkeit einer Gesellschaft eine `essentielle´ Aufgabe (Urteilskraft) zu, und somit auch, eine `fundamentale´ Verantwortlichkeit, die weit über das positive und gesatzte Recht hinausgeht), und zum anderen ist das bei David Hume moralisch (s.o. die 3. Dimension: Von Eigenschaften, die anderen unmittelbar angenehm sind).
    Weder `wollen´ noch `verursachen´ sind gegeben, daher erzeugt er eine Dilemma-Situation: `Was wäre wenn ich beides nicht selbst verhindern könnte, aber sehr wohl mit meiner eigenen (Moral-) Entscheidung herbeiführen könnte, dass nur eines von beidem Eintritt?´ => Nur allein dann, wäre für mich der kleine Ritz in meinem Finger, schlimmer, als die Zerstörung der ganzen Welt (die ich zum einen nicht selbst gewollt, und zum anderen, schon gar nicht selbst verursacht habe)!´
    Der zweite Denkfehler liegt darin, dass ich wollen kann, dass es meinem Nachbarn gut geht. => Und wenn ich selbst etwas dazu beitragen kann, dann kann durch meine materielle Unterstützung oder Zuwendung ein Ergebnis entstehen, das zum einen für meinen Nachbarn nütztlich ist (bspw.: ihm den Kühlschrank füllt) und zum anderen mir selbst nützlich ist (bspw.: mir das Gefühl beschert, etwas Gutes getan zu haben).
    In der Summe liegt somit, der bisweilen geäußerte und völlig unbegründete Eigennutzvorwurf, an einer grob fehlerhaften Zuordnung von Begriffpaarungen.
    Statt um die Frage `Egoismus´ vs. `Altruismus´ (AV.: von denen beide, auf Erreichung des Ziels ausgerichtet sind, nämlich einmal mein Ziel, und auf der Gegenseite das Ziel der anderen) geht es tatsächlich;
    Um die Frage die Frage `Egozentrismus´ vs. `Alterozentrismus´ (AV.: von denen beide auf Überzeugungen ausgerichtet sind, wenn ich also, will dass es meinem Nachbarn gut geht und ich dafür, etwas tun kann und auch tue, dann ist das dennoch `egozentrisch´ von mir entschieden worden, weil ich bei der Entscheidung ganz allein nur meiner eigenen Überzeugung gefolgt bin, nämlich der, dass es meinem Nachbarn gut gehen soll, aber es ist auch gleichzeitig `altruistisch´ gehandelt von mir, da dieses Handeln, nur durch meine eigene Überzeugung angestrebte, und auch erbrachte Ziel, meinem Nachbarn nützt in dem es ihm den Kühlschrank füllt).
    Bei der Frage nach einer spekulativ möglichen, oder zumindest denkbaren ` Subjektivität´, geht es vorrangig um die 3. (Moral-)Dimension von David Hume `Von den Eigenschaften, die anderen unmittelbar angenehm sind´, und hierbei ergibt sich, die auf diesem Weg vollzogene `Intersubjektivität´ bereits aus dem Titel!
    => Wenn ich mir darum Sorgen mache, welche Eigenschaften anderen unmittelbar angenehm sind, dann sind mir die anderen nicht egal!
    => Über die Selbstreflexion entsteht hierbei, der `unparteiische Beobachter´, der zwar erst von Adam Smith seinen Namen bekam, der aber von David Hume zuerst entwickelt wurde, und der nachfolgend methodisch immer weiter entfaltet wurde (AV.: Erst von Hume, später von Smith).
    Die von mir verwendet Quellen sind:
    Bezogen aufs Protokoll; Hume, D. (1739/40) „Eine Abhandlung über die menschliche Natur“;
    Und Bezogen auf den 1. Kommentar;
    Zum einen: Hume, D. (1751) „Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral“ (Moral als eine, durch die Selbstreflexion dessen was anderen unmittelbar angenehm ist, herbeigeführte Intersubjektivität, anstatt einer zwar auch denkbaren, aber dabei eindimensional bleibenden Subjektivität, und vielmehr noch, anstatt einer zwar auch denkbaren, aber dabei immer wahnhaft erscheinenden Objektivität)
    Zum anderen: Smith, A. (1759) „Theorie der ethischen Gefühle“ (Moral durch das Auge des `unparteiischen Beobachters´, selbstreflexiv, zu betrachten und zu beurteilen)

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