Die Natur des…was gleich nochmal?! Sechs Kritikpunkte am Ansatz von Philippa Foot

Philippa Foots Buch, welches im englischen Original unter dem Titel  Natural Goodness[1] erschien, wird im Deutschen mit Die Natur des Guten[2] übersetzt, was das volle Bedeutungsspektrum der Originalvorlage nicht exakt abbildet. Doch auch wenn man dem Titel weitere semantische Nuancen wie „Das natürliche Gute“, „Natürliches Gutsein“ „Das von Natur aus Gute“, oder auch „Natürliche Qualität“ hinzufügt und damit die ursprüngliche Bedeutung annähernd komplimentiert, bleibt der von Foot prominent verwendete Begriff des „Guten“ inhaltlich zumindest uneindeutig, teils jedoch sogar höchst problematisch.

Im Folgenden wird deshalb der Versuch unternommen, eine Reihe von Unstimmigkeiten in Foots Ansatz aufzuzeigen, wobei das Ziel nicht die Erstellung einer bloßen Liste sein kann, sondern dieser Wiki-Artikel nach seinem Upload einen regen und vor allem produktiven Austausch in der Kommentarsektion einleiten soll.

Bevor anschließend auf die Kritik an Foots Ansatz eingegangen wird, sei vorab sowohl auf das Protokoll der Sitzung vom 23.01. von Frederike Engel,[3] auf den Wiki-Artikel von Sophia Heuer zu Philippa Foot,[4] sowie die Aufnahmen der Sitzungen vom 23.01., 30.01, und vom 06.02. hingewiesen,[5] in denen sich der Kurs den Überlegungen Foots widmete. Die dadurch geleistete inhaltliche und begriffliche Vorarbeit, sowie die festgehaltenen Ergebnisse werden an dieser Stelle nicht nochmals wiederholt und als bekannt vorausgesetzt.

Einige der nun dargestellten Kritikpunkte legen lediglich offen, dass der jeweils von Foot vorgebracht Gedanke noch nicht konsequent zu Ende geführt ist, andere wiegen inhaltlich schwerer und sind als handfeste Kritik an Grundpfeilern der Footschen Konzeption zu verstehen.

  1. Der schlechte, dicke Wolf

Bereits die von Foot unternommene Engführung von „Gutsein“ („goodness“) und „Wohl“ („good“) ist nicht hinreichend plausibilisiert, was sich leicht an einem Beispiel zeigen lässt: Denkt man an einen Wolf, der sich zwar nicht an den Jagdaktivitäten des Rudels beteiligt, jedoch sehr wohl die von den anderen erlegte Beute frisst, so kann man zurecht sagen, dass dieser schmarotzende Wolf ein schlechter sei und einen Verhaltensdefekt aufweise. Jedoch kann man im selben Fall nicht behaupten, dass es diesem Wolf schlecht gehe. Dies hängt nämlich einzig von seiner Alimentation und seiner Fortpflanzungsfähigkeit ab. Den anderen Rudelmitgliedern geht es durch sein Verhalten schlechter, wobei er sich bester Gesundheit erfreut. Foot analogisiert an dieser Stelle ungerechtfertigt und ohne ausreichende Erklärung zwei kategorial unterschiedliche Begriffe.

  1. Um wessen Wohl geht es hier eigentlich?

Auch wenn es sich bei 1. lediglich um ein Beispiel (und zudem noch relativ primitives) handelt, so illustriert es doch eine grundsätzliche Schwierigkeit der Footschen Konzeption, da sich folgende systematische Unschärfe auch bei mehrmaliger Lektüre nicht konkretisieren lässt: Um wessen Gedeihen, Wohl oder gutes Leben geht es letztlich? Aussagen wie „it is necessary for wolves to hunt in packs“[6] lassen sich nur auf die gesamte Spezies oder ein Rudel, nicht aber auf ein Individuum beziehen. Sicherlich müssen Wölfe gemeinsam jagen: tun „sie“ dies nicht, hat zunächst das Rudel, auf längere Sicht jedoch auch die Spezies schlechte Überlebensaussichten. Ist jedoch mit einer Aussage wie „it is necessary for wolves to hunt in packs“ das Wohl oder gute Leben des Individuums gemeint, so folgt aus dieser zunächst gar nichts. Denn gerade hierin besteht der paradoxe Vorteil unkooperativen Verhaltens: Schlecht für die Gemeinschaft, kann es doch gut für den Einzelnen sein. Zumal in dem Fall des Wolfes, bei dem alle Parameter zunächst auf Selbsterhaltung und Fortpflanzung stehen.

Noch zugespitzter lässt sich diese Schwachstelle Foots durch kategorische Aussagen erläutern, wie „Löwenmännchen beteiligen sich nicht an der Jagd, fressen aber die besten Beutestücke, um Kräfte zu sparen, unter anderem für die Fortpflanzung“, oder „Ein Löwenmännchen, das ein Rudel im Kampf gewinnt, tötet die Jungen seines Vorgängers, damit die Weibchen schneller von ihm schwanger werden können.“ Die Frage ist also, ob umgekehrt ein Löwenmännchen, das sich an der Jagd beteiligten würde oder die Jungen seines Vorgängers verschonen würde, ein schlechter Löwe wäre? Würde man diesem gar einen Verhaltensdefekte zusprechen? Woran bemisst sich das Gutsein eines Löwenmännchens und wichtiger noch, wessen „Gedeihen“ ist steht hier im Fokus? Das des Löwenmännchens? Das der Weibchen, die auf die Jagd gehen und deren Junge von neuen Männchen getötet werden? Das ihrer Jungen, des Rudels, oder das der Spezies „Löwe“ insgesamt?

  1. Ungerechtfertigte Analogisierung

Flinke Füße, schnelle Auffassungsgabe und die Fähigkeit zur Antizipation sind eben zunächst einmal vorteilhaft für ihren Besitzer. Ganz anders verhält es sich jedoch bei moralischen Tugenden, die zunächst einmal anderen zugute kommen. Fragt man jedoch, einmal auf diese Tatsache gestoßen, bei Foot nach „Warum moralisch sein?“, gleitet diese über die Schwierigkeit hinweg, wobei besonders dieser Punkt für die Legitimation der Analogisierung eines moralisch guten Charakters mit beispielsweise guten Augen essentiell wären. Dadurch, dass Foot nur bei Individuen, nicht aber bei Kollektiven von „Gedeihen“ oder „gutem Leben“ sprechen will, scheint sie die Möglichkeit, das moralische Gutsein als Spielart des natürlichen Gutseins zu verstehen, eher zu blockieren.

  1. Was ist primär, was sekundär?

Unklar bleibt auch, ob Foot Wohl vom Gutsein her bestimmt, oder der umgekehrte Fall in ihrem Sinne ist. Welcher Begriff ist als der vorgeordnete zu verstehen? Steht zuerst als natürliche Tatsache fest, worin das Wohl, das Gedeihen, oder das gute Leben (der Angehörigen) einer Spezies besteht, und bestimmt sich von daher, was Vorzüge und Defekte bei diesen Individuen sind? Das würde zwar in die Systematik der Footschen Konzeption passen, und oft legt sie auch ein derartiges Verständnis nahe, allerdings geht sie ebenso auch umgekehrt vor und leitet aus der charakteristischen Lebensform einer Spezies Kriterien für das Gutsein ihrer Angehörigen ab, um dann erst deren Wohl mit Blick auf dieses Gutsein zu definieren. Insbesondere dort, wo sie menschliches Wohl und menschliches Glück diskutiert, scheint es, als wäre das der Gang der Argumentation.

  1. Das Problem der unklaren Kategorien

Obwohl der Begriff der „Spezies“ bei Foot eine entscheidende Rolle spielt, ist dieser weder hinreichend erläutert, noch klar von seinem Gegenteil oder verwandten Termini abgegrenzt. Die zahlreichen Beispiele mit Tieren und Pflanzen, lassen an einen biologischen Artbegriff denken, obgleich doch aber eher die geteilte „Lebensform“ das entscheidende Merkmal für die Argumentation zu sein scheint.[7]

  1. Eventuell ideologiefördernd

Die Idee des natürlichen Gutseins im Sinne Foots verträgt kritische Nachfragen und progressives Zweifeln nur sehr schlecht. Überlegt beispielsweise jemand, ob er sich seiner Natur, der Natur seiner Spezies oder gemäß seiner Lebensform verhalten soll, findet er keine klare Antwort. Die Fähigkeit, nach Gründen zu fragen und Gründe zu nennen, scheint die Glaubwürdigkeit des Ansatzes stark zu vermindern. Wer fragt, warum er sich z.B. aufopfern sollte – zur charakteristischen Lebensform einer Spezies können weitgehende Opfer des Einzelnen ja selbstredend gehören – dem wird man mehr sagen müssen als „Das ist es eben, worin das Gutsein in deinem Falle besteht, was durch unsere Lebensform vorgegeben ist, und was für dich zu tun demzufolge das einzig Richtige und Vernünftige ist.“ Wohin eine solche Logik führen kann, sollte angesichts des aktuellen Weltgeschehens offenkundig sein. Wohin ein kritisches Hinterfragen im Bezug auf Foots Konzeption führt? Mindestens zu diesen sechs Kritikpunkten an ihrem Ansatz.

 

[1] Foot, Philippa: Natural Goodness. Oxford:  Clarendon Press 2001.

[2] Foot, Philippa: Die Natur des Guten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 2004.[Alle weiteren Zitate folgen dieser Ausgabe]

[3] Vgl. http://www.wikiseminar.net/protokoll-zur-sitzung-vom-30-1-207-philippa-foots-natur-des-guten

[4] Vgl. http://www.wikiseminar.net/wiki/philippa-foot-natural-goodness

[5] Vgl. http://www.wikiseminar.net/category/aufzeichnungen

[6] Foot, S. 31.

[7] Foot, S. 32.

Kommentare

Dieser Beitrag hat momentan 2 Kommentare

  • Humorvoller Titel! 🙂 Klar, deutlich, verständlich geschrieben. Das Wikiseminar so aktiv als Quelle zu benutzen, finde ich sehr sinnvoll.

    Eine kleine Formalität die geändert werden könnte, die Nummerierung ist immer bei „1.“

  • Mir scheint auch, dass Foots Naturbegriff besonders problematisch ist. Kennt Foot so etwas wie eine „erste“ und eine „zweite“ Natur? Man könnte hinsichtlich der Kritik an Foots Ansatz noch zwischen „interner“ bzw. „immanenter“ und „externer“ Kritik unterscheiden. Welche Probleme ergeben sich aus Foots Theorie selbst? Welche Probleme ergeben sich erst unter Voraussetzung bestimmter Zusatzannahmen?

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