Protokoll zur Sitzung am 19.12. zum naturalistischen Fehlschluss (G.E. Moore)

Zunächst ist es nötig, ein Verständnis über den ethischen und metaethischen Naturalismus zu erhalten, um die Stoßrichtung Moores zu verstehen.

Während der ethische Naturalismus ausgehend von (bspw.) anthropologischen Beobachtungen zu gewissen normativen Aussagen kommt, befasst sich der metaethische mit der logischen oder sprachlichen Ausformung ethischer Sätze. Dabei fragt letzterer eben nicht nach gutem Handeln, sondern reflektiert moralische Konsequenzen, die aus deskriptiven Aussagen abgeleitet werden, hinsichtlich ihrer Struktur und Semantik. Darunter fällt auch die bereits besprochene Frage nach der Definierbarkeit von „gut“. Moore argumentiert also metaethisch, was im Folgenden deutlich wird, als er sich Bentham widmet:

„Ich möchte nicht, daß die Bedeutung, welche ich diesem Fehlschluß zuschreibe, verkannt wird. Seine Entdeckung widerlegt keineswegs Benthams These, daß das größte Glück der wahre Zweck menschlichen Handelns ist, falls das als eine ethische Aussage gilt, wie er es zweifellos gemeint hat. Dieses Prinzip kann gleichwohl wahr sein. (…) Ich behaupte jedoch, daß die Gründe, die er effektiv für seine ethische These anführt, fehlerhaft sind, insofern sie aus einer Definition von recht bestehen. Ich will sagen, daß er ihre Fehlerhaftigkeit nicht erkannte, andernfalls hätte er andere Gründe zugunsten seines Utilitarismus gesucht. Vielleicht hätte er in diesem Fall gar keine gefunden, die ihm hinreichend erschienen. Dann hätte er sein ganzes System geändert, eine äußerst wichtige Konsequenz.“ (51 f.)

Moore identifiziert hier den naturalistischen Fehlschluss, da „recht“ definiert wird. Dies scheint analog zu „gut“ ein einfacher Begriff zu sein. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sein Utilitarismus gänzlich scheitern muss. Die Feststellung legt erst einmal eine formale Lücke in seiner Argumentation offen –  ist somit eine metaethische Analyse.

1. Was versteht Moore unter einem „naturalistischen Fehlschluss“?

Bevor Moore den Fehlschluss selbst darstellt, möchte er den Standpunkt, dass „gut“ ein einfacher Grundbegriff ist, der nicht definitorisch erfasst werden kann, stark machen. Hierzu bedient er sich weiterer Beispiele für Begriffe dieser Art, wie etwa „gelb“. Man kann wohl Lichtschwingungen bestimmen, die uns einen Gegenstand als gelb bestimmen lassen, jedoch ist diese Beschreibung mithilfe eines physikalischen Äquivalents eben keine hinreichende Definition. Moore scheint hier unsere Intuition einfangen zu wollen, dass wir – wenn wir von gelb sprechen – nicht die spezifischen Lichtschwingungen, sondern eine bestimmte phänomenale Wahrnehmung  meinen. Diese wiederum ist mit anderen Eigenschaften/Begriffen kaum zu erklären, sondern besteht ganz in sich.

Analog sieht er nun „gut“ als letzten, grundlegenden Begriff, mit dem alles, was definierbar ist, definiert werden muss.(40) Umgekehrt kann „gut“ mittels anderer Begriffe zwar beschrieben, nicht aber definiert werden.

„Und doch ist ein solch simpler Fehler in bezug auf ‚gut‘ weit verbreitet. Es mag sein, daß alle Dinge, die gut sind, auch etwas anderes sind, so wie alle Dinge, die gelb sind, eine gewisse Art der Lichtschwingung hervorrufen. Und es steht fest, daß die Ethik entdecken will, welches diese anderen Eigenschaften sind, die allen Dingen, die gut sind, zukommen. Aber viel zu viele Philosophen haben gemeint, daß sie, wenn sie diese anderen Eigenschaften nennen, tatsächlich ‚gut‘ definieren; daß diese Eigenschaften in Wirklichkeit nicht ‚andere‘ seien, sondern absolut und vollständig gleichbedeutend mit Gutheit [goodness]. Diese Ansicht möchte ich den ‚naturalistischen Fehlschluß‘ nennen.“ (40f)

Der naturalistische Fehlschluss ist tatsächlich simpel, wenn man die Prämissen annimmt, dass „gut“ weder zu definieren noch begrifflich hintergehbar ist, schlechthin also vorauszusetzen ist.[1] Derjenige, der behauptet, dass Lustempfindung gut sei, begeht noch keinen Fehlschluss. Erst die Behauptung oder die implizite Annahme, dass gut Lustempfindung bedeute, entspricht dann einem solchen Fehlschluss (bzw. Irrtum/ Fehlannahme), weil Lust in dieser Ausführung gleichbedeutend mit „gut“ ist. Das wiederum trifft nicht unser allgemeines Verständnis von gut, das – auch wenn wir es nicht genau bestimmen können – sich intuitiv nicht allein durch Lustempfindung ausdrücken lässt. Noch vielmehr, „gut“ wird letztlich für die Argumentation instrumentalisiert, ohne dem Begriff in seiner basalen Art und Normativität gerecht zu werden. Hedonisten begehen also diesen Fehlschluss, wenn sie von der Beschreibung „Lust ist gut“ auf den Schluss „gut = Lust“ kommen.
Dass dieser Schluss ins Leere läuft, versucht er anhand eines Beispiels zu verdeutlichen. Nehmen wir an gut sein heißt dasjenige, was wir zu begehren begehren.  Demnach halten wir zum Beispiel A für gut, weil wir es zu begehren begehren. Trotzdem kann nun sinnvoll danach gefragt werden, ob A gut ist? Also, ob es gut ist zu begehren, dass wir A begehren?
Moore schließt daraus, dass wir hier zwei verschiedene Begriffe vor Augen haben und gut als Grundbegriff nicht definiert werden kann.

Moores Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses zielt also auf die Normativität der verschiedenen ethischen Systeme ab, indem er die Annahmen sprachlich und formal problematisiert. Doch worin besteht der Nutzen Moores Feststellung?

„Wenn wir mit der Überzeugung beginnen, das eine Definition von ‚gut‘ gefunden werden kann, so beginnen wir mit der Überzeugung, das ‚gut‘ nichts anderes bedeuten kann als eine bestimmte Eigenschaft von Dingen, und unser einziges Anliegen ist dann, herauszufinden, was für eine Eigenschaft das ist. Wenn wir jedoch erkennen, das, soweit die Bedeutung von ‚gut‘ reicht, alles mögliche gut sein kann, beginnen wir mit viel größerer Aufgeschlossenheit. Und abgesehen davon, das wir, wenn wir eine Definition zu haben glauben, unsere ethischen Prinzipien überhaupt nicht logisch verteidigen können, sind wir außerdem noch viel weniger in der Lage, sie selbst unlogisch gut zu verteidigen. Denn wir beginnen mit der Überzeugung, das ‚gut‘ dies und das bedeuten muss, und neigen daher dazu, die Argumente unseres Gegners entweder misszuverstehen oder sie mit der Entgegnung abzuschneiden: ‚Das ist keine offene Frage‘.“(53)

Nochmals ist zu betonen, dass die Feststellung eines naturalistischen Fehlschlusses nicht notwendigerweise die ethischen Sätze und Schlussfolgerungen als fehlerhaft enttarnt, sondern die Gründe für Behauptungen logisch wie strukturell auf die Probe stellt. Die metaethische Frage lautet, wie über Moral gesprochen werden soll?  Letztlich soll eine Verkürzung der Argumentation vermieden werden.

2. Inwiefern könnte Kant einen naturalistischen Fehlschluss in dem Verständnis von Moore begehen?

„(…)ich kümmere mich um den Fehlschluß. Es kommt nicht darauf an, wie wir ihn nennen, vorausgesetzt, wir erkennen ihn, wenn er uns begegnet. Man kann ihm in fast jedem Buch über Ethik begegnen; trotzdem wird er nicht erkannt.“ (45)

Das schwierige scheint nun, dass Moore Kant eine Struktur nachweisen muss, die das Gute gleichbedeutend mit anderen Begriffen definiert.
Diese könnte sich in der Vorstellung Kants finden, dass dem (moralisch) Guten schon die Annahme eines Sittengesetzes, der Vernunft sowie der Freiheit vorgelagert sein muss. Das Gute wird als Hervorbringung unter diesen eben erwähnten Aspekten verstanden, u.a. als Faktum der Vernunft.
(Moralisch) „Gut“ ist eine Handlung nach Kant nur gemessen an einem Kriterium:  dem guten Willen. Demgegenüber würde Moore „gut“ als gegeben, als banales „gut ist gut“ verstehen, welches nicht durch solch eine Struktur bestimmt ist, sondern vielmehr einen Grundbegriff darstellt.
Er könnte Kant also vorwerfen, dass er „gut“ als gleichbedeutend mit gutem Willen zu definieren versucht. Hier würde Kant wohl aus Sicht Moores den naturalistischen Fehlschluss begehen. „Gut“ drückt nach seiner Vorstellung mehr aus.
Ebenso würde Moore die Behauptung einer Anlage zum Guten – von der Kant ausgeht – kritisch sehen, da diese anthropologischen Grundstrukturen voraussetzt, um „gut“ erfassen zu können.

Moores Ansatz ist also eine sprachlich-formale Analyse, die ex negativo das Reden über Ethik zu einem offeneren Austausch als bisher machen möchte.
[1] Hierzu auch sehr hilfreich der Kommentar von Markus Gasteier zum Protokoll der ersten Sitzung zu Moore am 12.12.

Kommentare

Dieser Beitrag hat momentan 3 Kommentare

  • Besonders schön dargestellt finde ich die Überlegungen zur Frage, inwiefern Kant ein Naturalistischer Fehlschluss nachgewiesen werden kann.
    Kant nimmt an, „das Gute“ manifestiere sich als Hervorbringung des „Faktums der Vernunft“ im „guten Willen“. Das Faktum der Vernunft impliziert ein Sittengesetz der Freiheit und Vernunft a priori.
    Dass „das Gute“ dem „guten Willen“ essenziell ist, bedeutet allerdings nicht zwingend die Definition „des Guten“ durch allein den „guten Willen“.
    Im Kontext des naturalistischen Fehlschlusses würde dies aussagen, „der Wille ist gut“, der Form „x=gut“, nicht jedoch eine Definition „des Guten“ selber durch „x“, der Form „das Gute“ = „der gute Wille“ vornehmen.

    Man könnte aber im Sinne eines „Seins-Sollens-Fehlschlusses“ überlegen, dass in der Annahme eines „Faktums der Vernunft“, das Sittengesetz der Freiheit und Vernunft a priori eine Form von Normativität begründen soll.
    Dass der „gute Wille“ gut sei, läuft allerdings inhaltlich auf ein Vergleichen von Vorstellungen hinaus, und ist auch, insofern er nicht gehaltserweiternd ist, nicht anwendbar auf eine Kritik normativer Schlussfolgerungen auf deskriptiver Basis.

  • Ein toller Beitrag, der mir die Theorie verständlicher gemacht hat. Was ich nicht verstanden habe:

    „Analog sieht er nun „gut“ als letzten, grundlegenden Begriff, mit dem alles, was definierbar ist, definiert werden muss.(40) Umgekehrt kann „gut“ mittels anderer Begriffe zwar beschrieben, nicht aber definiert werden.“

    Kann Moores basaler Begriff von „Gut“ dann nicht alles und damit nichts bedeuten?

  • Ich habe Moore ein bisschen anders verstanden, weder alles, noch nichts, würde ich bei Moore mit dem Guten in Verbindung bringen, sondern nur, das Gute selbst, und das ist dann weder alles noch nichts.
    Definitionen sind hilfreich, dort wo sie nützen um Dinge zu klären, oder zu erklären. Die älteste Parodie, auf Definitionsfixierungen, stammt von Sokrates der gefragt wurde, was denn, der Mensch eigentlich sei, und darauf die Antwort gab, ein Zweibeiner ohne Federn. Das war, eines der Lieblingsbeispiele, von Karl Popper und seine Auffassung, lautete, etwa so: „Wenn jemand, vorher, keine Vorstellung davon hatte was ein Mensch eigentlich ist, dann ist, die Definition `Zweibeiner ohne Federn´, nicht dazu geeignet ihm Klarheit zu verschaffen.
    Daraus abgeleitet, ergibt sich, diese Anforderung an das Gelingen einer Definition.
    Das `zu definierende´ (Definiendum) darf selbst kein basales, unteilbares, Infinitesimalgut sein, denn, was nicht teilbar ist, kann auch nicht durch seine Teile erklärt, oder definiert werden. (AV: es kann, also, nicht allein nur durch eine begriffliche Aufzählung, aller Inhalte, vollständig, nachgebildet werden).
    => Das gilt, laut Moore, für das Gute an sich! Anders ausgedrückt, im Guten an sich, ist nur das Gute drin und sonst nichts. Das Gute kann sich, natürlich, mit anderen Eigenschaften vereinigen (AV: Freundlichkeit, Güte, Wohlwollen etc. pp). Das bedeutet aber, das daraus gemischte Güter entstehen, die wenn man sie jemandem erklären wollte wieder nur, durch, die festgestellte Eigenschaft (z.B. Freundlichkeit), i.V. mit dem Guten an sich erklärt (z.B. Warum Freundlichkeit gut ist) werden könnten. Bildlich gesprochen, ist Freundlichkeit, Güte, Wohlwollen, Gerechtigkeit, Wahrheit oder Treue, alles Teil des Guten, aber nicht das Gute selbst.

Schreibe einen Kommentar

Sidebar