Leitfragen zur Sitzung am 31.10.2016: Humes „Sein-Sollens-Fehlschluss“

  • Wie verhält sich nach Hume das Vermögen der Vernunft zur Moral? (S. 204 f.)
  • Wodurch können Tugenden und Laster (das „Gute“ und das „Böse“) erkannt werden? (S. 204 f./ S. 212)
  • Wie verhalten sich nach Hume „Sein“ und „Sollen“ zueinander (S. 211 f.)

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  • 1. „Aus diesem [zweifellosen] Einfluss der Sittlichkeit auf unsere Handlungen und Neigungen nun folgt, dass dieselbe nicht aus der Vernunft hergeleitet werden kann, da ja die Vernunft allein, wie wir schon bewiesen haben, niemals einen solchen Einfluss haben kann. Die Sittlichkeit erregt Affekte und erzeugt oder verhindert Handlungen. Die Vernunft allein ist aber hierzu ganz machtlos; die Sittenregeln sind folglich keine Ergebnisse unserer Vernunft.“ (S. 197, u./ S.198, o.)
    Begründung zu der Feststellung, unter Punkt 1:
    1.a) „Vernunft ist die Erkenntnis von Wahrheit und Irrtum. Wahrheit und Irrtum aber besteht in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung entweder mit den wirklichen Beziehungen der Vorstellungen oder mit dem wirklichen Dasein und den Tatsachen.“ (S. 198, m./u.)
    1.b) „Wären das Denken und der Verstand allein fähig, die Grenzen von Recht und Unrecht zu bestimmen, so müsste das Wesen der Tugend und des Lasters entweder in gewissen Beziehungen der Objekte liegen, oder eine Tatsache sein, die auf dem Wege des Schlusses entdeckt wird.“ (S. 204, m.)
    1.c) „Diese Überlegungen nun beweisen nicht nur, dass Sittlichkeit nicht in Beziehungen besteht, die Gegenstand der Wissenschaft sind, sondern sie beweisen, recht betrachtet, mit derselben Sicherheit, dass Sittlichkeit auch nicht in irgendeiner Tatsache besteht, die durch den Verstand erkannt werden kann.“ (S. 210, m.)
    2. „Laster und Tugend können insofern mit Tönen, Farben, Wärme und Kälte verglichen werden. Diese sind ja nach der neuen Philosophie gleichfalls keine Eigenschaften der Gegenstände, sondern Perzeptionen des Geistes. (…). Nichts kann wirklicher sein oder uns näher angehen als unsere eigenen Gefühle der Lust oder des Unbehagens; sprechen diese zugunsten der Tugend und gegen das Laster, so ist zur Regelung unserer Lebensführung und unseres Betragens nichts weiter nötig.“ (S. 211, o./m.)
    3. „Dies sollte oder sollte nicht (AV.: gegenüber dem ist oder ist nicht) drückt eine neue Beziehung oder Behauptung aus, muss also notwendigerweise beachtet oder erklärt werden. Gleichzeitig muss ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind.“ (S. 211, u.)
    Fazit/Ergebnis aus diesen Betrachtungen, unter den Punkten 1 bis 3:
    „Der Verlauf unserer Überlegungen führt uns zu dem Ergebnis, dass Tugend und Laster nicht durch die Vernunft allein, also nicht durch Vergleichung von Vorstellungen erkannt werden können, dass wir vielmehr vermittelst eines Eindrucks oder eines Gefühls, das sie erwecken, befähigt werden, den Unterschied zwischen ihnen zu statuieren. Unsere Entscheidungen über das sittlich Richtige und sittlich Verwerfliche sind zweifellos Perzeptionen; alle Perzeptionen aber sind entweder Eindrücke oder Vorstellungen; sind also jene Unterscheidungen nicht der ersteren Art, so gehören sie notwendig zur letzteren Gattung. Sittlichkeit wird also vielmehr gefühlt als beurteilt.“ (S. 212, o./m.)

  • Heute Nachmittag/Abend im Tutorium ging es um Hume´s Objektivitätsgrad von Sittlichkeit, und verbunden damit, um die Frage wie man von `is´ nach `ought to´ kommt.
    Ich möchte dazu (im Anschluss a meine Ausführungen) kurz Alex Walter zitieren, der zu einer ähnlichen Auffassung kommt, wie ich sie in Adam Smiths (1790) „Theorie der ethischen Gefühle“ herausgelesen hatte, nämlich dass David Hume sich missverstanden fühlt, wenn man mit Rückgriff auf ihn behauptete, ein Übergang vom Sein zum Sollen sei auf direktem Wege nicht möglich.
    Denn David Hume selbst sagt (auch in seiner Abhandlung über die menschliche Natur, S. 211 u.), dass es durchaus möglich sei vom Sein zum Sollen zu kommen, allerdings müsste dafür, nach seiner Auffassung, die Verbindung vom Sein zum Sollen gerechtfertigt werden (O-Ton: muss also notwendigerweise beachtet und erklärt werden. Gleichzeitig muss ein Grund angegeben werden …).
    Um diesem Missverständnis entgegenzutreten, hat David Hume selbst (1752) „Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral“ veröffentlicht, und sein enger Freund (und Korrespondenzpartner) Adam Smith, hat in seiner Veröffentlichung (1759) „Theorie der ethischen Gefühle“, den Objektivitätscharakter von David Humes „Sympathie“ (als Lust-/oder Unlustgefühl), durch eine Intersubjektion (Sympathie im Spiegel der Selbstreflexion) zum `unparteiischen Beobachter´ weiterentwickelt.

    Manfred Kühn schreibt dazu:
    „Hume selbst benutzt den Ausdruck `unparteiischer Beobachter´ nicht. Er findet sich wohl zuerst bei seinem Freund Adam Smith. (Siehe dessen Theorie der ethischen Gefühle, übers. v. W. Eckstein, 166-171). Der Sache nach findet sich ein `unparteiischer Beobachter´ jedoch auch bei Hume (vgl. Untersuchung über die Prinzipien der Moral). Was bei Hume fehlt, ist die explizite Bezugnahme auf das reflexive Element dieses Beobachters.“
    Hume, D., 1752, Untersuchung über die Prinzipien der Moral, Hrsg.: Manfred Kühn; Verlag: Felix Meiner, Hamburg. Einleitung – S. XXV, Fußnote 28.

    Alex Walter schreibt dazu (S. 35 u., S. 36 o.):
    „The passage in Hume that is typically cited to validate the fact/value disjunction is to be found in the first chapter of the third volume of his work, A Treatise on Human Nature. It is sometimes referred to as Hume’s “Law” (e.g. Mackie, 1977, p. 64):

    I am surprised to find, that instead of the usual copulations of propositions, is and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought or ought not . . . . For as this ought or ought not expresses some new relation of affirmation, it is necessary that it should be observed and explained; at the same time a reason should be given, for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it (Hume quoted in Flew, p. 38).

    Hume is not saying here that “ought” cannot be derived from “is”; rather, he is saying that an argument needs to be given that would justify the connection. Moreover, the task that Hume sets himself is to show exactly how this can be done. Hume’s stratagem is to develop a science of morals that unequivocally grounds moral values in the facts of human nature. Hume holds that standards of morality are not abstract in the sense that they could exist independently of the facts of human nature. Indeed, such standards are wholly dependent upon it. Even in his own day, Hume was frustrated that people misunderstood his intent, and in 1752 he published an additional work entitled, An Enquiry Concerning the Principles of Morals, in which he attempted to clarify his purpose.“

    The hypothesis that we embrace is plain. It maintains that morality is determined by sentiment. It defines virtue to be whatever mental action or quality give to a spectator the pleasing sentiment of approbation; and vice its contrary (Hume, 1953, p. 129).

    Thus, Hume argues that moral values do not exist objectively, as things in themselves, but are instead a projection of subjective psychological standards. By “subjective”, Hume means that they are features, or “facts” if you will, of human psychology. It was with this aim in mind that Hume and his close friend Adam Smith set out to develop a theory of moral sentiments.“
    Quellennachweis:
    Walter, A., 2006, The Anti-naturalistic Fallacy: Evolutionary Moral Psychology and the Insistence of Brute Facts, Zeitschrift: Evolutionary Psychology, Vol. 4, p. 33-48.

  • Gestern Abend im Tutorium, bei der Nachbetrachtung von David Hume stand die Frage im Raum, ob die Aussage „Reason is, and ought only to be the slave of the passions“ als `Aporie´ zu verstehen wäre (als eine Auswegslosigkeit für die Vernunfterkenntnis), da dieser konkrete Satz, gänzlich, vom Kontext befreit (isoliert) und nur für sich ganz allein betrachtet, ein logischer Widerspruch `Antinomie´ zur universellen Grundhaltung von David Hume sei, mit der er `explizit´ die Vernunft, allen anderen menschlichen Vermögen überordnet?
    Einige persönliche Anmerkungen, zu dieser scheinbaren Auswegslosigkeit, durch logischen Widerspruch zur Humischen Grundhaltung (II. Buch, Dritter Teil, 3. Abschnitt):
    1. David Hume arbeitet streng systematisch (gesamtkonzeptuell), d. h., die Deutung eines einzelnen Satzes ohne den dazugehörigen Kontext, in dem er von David Hume selbst, verwendet wurde ist bedeutungsleer.
    2. Es geht im zweiten Buch dieser „Abhandlung über die menschliche Natur (Über die Affekte)“, wie bereits im Titel aufzeigt wird, nur um die Affekte, nicht jedoch um das moralische Gefühl (moral sentiments).
    3. Der dritte Teil dieses zweiten Buches, trägt den Titel: „Vom Willen und den unmittelbaren Affekten“, und dass diese, unmittelbaren Affekte (die mich überwältigenden Affekte) der Vernunft bei Weitem überlegen sind, das ist für Jedermann, offensichtlich, sonst bräuchte es solche Straftatbestände wie „Mord im Affekt (Mord durch Raserei)“ gar nicht zu geben.
    4. Es geht in der bezeichneten Passage, um den existenziellen Kampf zwischen dem `unmittelbaren´ Affekt (dem unreflektierten Affekt), und der Vernunft, und das ganze Zitat lautet: „Wir drücken uns nicht genau und philosophisch aus, wenn wir von einem Kampf zwischen Affekt und Vernunft reden. Die Vernunft ist nur Sklave der Affekte und soll es sein; sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.“
    Mein Eindruck von dieser Passage:
    4.1. Diese Passage ist deskriptiv (und nicht normativ), sie schildert ausschliesslich, den unbestreitbaren Fakt dass das Reptiliengehirn, des Menschen entstehungsgeschichtlich 30 Million Jahre älter ist, als der Neo-Cortex, und dass das „Limbische System“ bei maximal affektiver Erregung (Fight or Flight), den Neo-Cortex hormonell ausschalten kann, und zwar durch die beiden Stresshormone Adrenalin, und Cortisol, die vom Zwischenhirn befohlen (vom Hypothalamisch-Hypophysiären-System) aus der Nebeniere freigesetzt werden, und die Blutbahn überfluten (um die Fließfähigkeit des Blutes, sowie die Energiefreisetzung für eine evtl. notwendige Flucht, sicherzustellen).
    4.2. Die biochemischen Hintergründe, die kannte David Hume im 18. Jhdt natürlich noch nicht, aber er war Empirist, und dass die Erregung den Verstand in bestimmten Situationen (bzw. Panik-Ängste) ausschalten kann, das konnte er, durch simple Beobachtung feststellen.
    4.3. Wenn der `Neo-Cortex (das Vernunftvermögen)´, vom `Limbischen System´ abgeschaltet werden kann (energetisch Unterversorgt), zur funktionalen Sicherstellung, und zur mittelfristigen Aufrechterhaltung einer hinreichenden Gesamtenergie-Bilanz, für eine evtl. notwendig werdende Fluchtreaktion, dann gibt es in der maximal erregten Phase der Raserei gar kein im Dienst befindliches Organ, dass vernunfträsonieren, und sorgfältig (in Ruhe) gute Gründe, für und wider abwägen kann.

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