Protokoll zur Sitzung am 12.12.2016 – G. E. Moores „Naturalistischer Fehlschluss“

Bevor auf Moores zentrale These des „naturalistischen Fehschlusses“ eingegangen wird, erscheint es sinnvoll zunächst die Bedeutung des Begriffs „gut“ und der These der Undefinierbarkeit von „gut“ unter der Berücksichtigung folgender Leitfragen herauszuarbeiten:

  • Inwiefern unterscheidet sich nach G.E. Moore die Semantik von „gut“ von Begriffen wie „gelb“ und „Pferd“?
  • Inwiefern sind Aussagen über das Gute „synthetisch“?
  • Warum kann „gut“ nicht definiert werden?

1. „gut“ ist undefinierbar

Dass sich der Begriff „gut“ im Sinne einer lexikalischen Definition oder im Sinne der verschiedenen alltäglichen Verwendungsweisen definieren lässt, bestreitet Moore keineswegs.

„Wir können meinen, wie es bei Webster gemeint sein muss: wenn die meisten Deutschen ´Pferd´ sagen, meinen sie einen behuften Vierfüßler der ´Gattung equus´. Dies kann die eigentliche Verbaldefinition genannt werden, und ich behaupte auch nicht, daß gut in diesem Sinne undefinierbar ist. Denn es ist sicher möglich, auszumachen, wie die Leute ein Wort gebrauchen.“ (Principia, S. 37)

Diese Definitionsarten werden aber von Moore ausgeklammert, denn sie treffen nicht den ethischen Diskurs und bilden vor allem nicht den Kern des „naturalistischen Fehlschlusses“, dem sich bisherige Moralphilosophen schuldig gemacht haben. Moore dagegen unternimmt zunächst eine allgemeine, wesentliche Betrachtung des Begriffs „gut“.

„Wenn ich gefragt werde, ´was ist gut?´, so lautete meine Antwort, daß gut gut ist, und damit ist die Sache erledigt. Oder wenn man mich fragt, ´Wie ist gut zu definieren?´ so ist meine Antwort, daß es nicht definiert werden kann, und mehr ist nicht darüber zu sagen.“ (S. 36)

In Moores Moraltheorie bezeichnet der Begriff „gut“ eine einfache, synthetische Eigenschaft, die durch ihre Unzerlegbarkeit in weitere konstituierende Komponenten charakterisiert ist. Was versteht Moore allerdings unter der Bezeichnung „synthetisch“? Allgemein bedeutet Synthese eine Zusammenfügung, eine Verbindung von Elementen. Für Moore jedoch ist synthetisch kein zusammengesetzter Begriff – synthetisch bedeutet vielmehr „niemals analytisch“ (S. 36). Demnach kann ein synthetischer Begriff keiner Analyse unterzogen werden, d.h. nicht in mehrere Bestandteile zerlegt und analysiert werden. Synthetische Begriffe wie „gut“ „sind Begriffe jener einfachen Art, aus denen sich Definitionen zusammensetzten und bei denen die Möglichkeit weiteren Definierens endet.“ (S. 37)

Definiert werden kann also nur ein Begriff, der aus einfachen, synthetischen Begriffen zusammengesetzt und damit ein komplexer Begriff ist. Dieses Definitionsverständnis erinnert an David Humes Perzeptionsbegriff, nach dem eine Perzeption aus den letzten basalen, nicht mehr reduzierbaren Bestandteilen der Wahrnehmung besteht. Zur Veranschaulichung eines komplexen, definierbaren Begriffs zieht Moore den Begriff „Pferd“ heran, denn „ein Pferd hat viele verschiedene Eigenschaften und Qualitäten, die man allesamt aufzählen kann. Wenn man sie aber alle aufgezählt hat, wenn man ein Pferd auf seine einfachen Begriffe (terms) zurückgeführt hat, dann kann man diese Begriffe nicht weiter definieren.“ (S. 36) Anders als mit dem komplexen Begriff „Pferd“ verhält es sich jedoch mit dem Begriff „gelb“, mit dem er seine These der Einfachheit untermauert. Denn auch „gelb“ ist, wie der Begriff „gut“, nicht weiter zerlegbar und damit nicht definierbar. Einzig die Wellenlänge, also eine Begleiterscheinung von „gelb“ kann physikalisch gemessen werden. Damit ist aber das wahre Wesen von „gelb“ nicht angegeben – die gemessene Wellenlänge ist eine mögliche Kategorie um „gelb“ zu begreifen, also extensional zu definieren, aber damit ist „gelb“ in seiner phänomenalen Qualität nicht erklärt. Die Bedeutung von einfachen Begriffen lässt sich also nicht über eine Analyse, d.h. über eine Zerlegbarkeit erschließen, sondern kann allein durch einen direkten Zugriff, eine geistige Wahrnehmung – im Fall von „gut“, der Intuition – erfasst werden. Die einfachen Begriffen entziehen sich also der Sprache, sie bezeichnen einen unmittelbar zu erfassenden Gegenstand des Denkens und es scheint als ob ein moralischer Sinn, ein Gespür für das Gute entscheidend ist.

Auch wenn Moore die Undefinierbarkeit mit Hilfe der Einfachheit erklärt, bleibt dennoch die Frage offen, warum einfache Begriffe nicht definiert werden können. Moore setzt die Unanalysierbarkeit mit der Undefinierbarkeit gleich und gibt diese Undefinierbarkeitsthese unter der Bezeichnung der Einfachheit wieder. Inwieweit ist solch eine zirkuläre Begründung stichhaltig?

2. „Das Gute“ ist definierbar

Das Adjektiv „gut“ entzieht sich nach Moores Moraltheorie folglich jeder Definition. Jedoch unterscheidet er zwischen dem Adjektiv „gut“, der konkreten Eigenschaft und dem Substantiv „das Gute“, worauf sich das Adjektiv, die konkrete Eigenschaft bezieht. „Das Gute“ ist, anders als „gut“, definierbar – allerdings nicht intensional, aus sich selbst heraus, sondern extensional definierbar, d.h. der Blick geht auf die guten Dinge, auf die Menge der Gegenstände die unter „gut“ fallen. Das Gute „muss das Ganze dessen sein, worauf sich das Adjektiv ´gut´ bezieht, und das Adjektiv muss sich immer wirklich darauf beziehen. Wenn es aber das ist, worauf sich das Adjektiv bezieht, muss es von diesem Adjektiv selbst verschieden sein; und die Gesamtheit dieses Verschiedenen, was immer es sein mag, ist unsere Definition des Guten.“ (S. 39) So kann z.B. gesagt werden „Intelligenz ist gut“. Damit ist aber nicht erklärt, was „gut“ ist, sondern mit Hilfe von „gut“ wird die Intelligenz, „das Gute“, also das worauf sich „gut“ bezieht, definiert. Da aber auch andere Dinge, außer die Intelligenz, „gut“ sein können, beispielsweise die Lust, wäre es ein Irrtum, „gut“ mit Intelligenz oder Lust zu definieren („Naturalistische Fehlschluss“). Wird „gut“ also mit anderen Eigenschaften identifiziert und damit versucht zu definieren, wird nach Moore ein „naturalistischer Fehlschluss“ begangen. Aber nicht nur die Identifikation über andere Kategorien, sondern selbst der Versuch „gut“ überhaupt zu definieren, konstituiert schon einen naturalistischen Fehlschluss. Dabei stellt sich die Frage, ob nicht Moores These der Undefinierbarkeit bereits eine Art Definition ist? Würde sich damit das Problem des naturalistischen Fehlschlusses nicht teilweise auf die Formulierungen, den Ansatz Moores selber beziehen?

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  • Zu der Frage, ob Unanalysierbarkeit mit Undefinierbarkeit in Zusammenhang steht:
    Bei Definitionen werden gemeinhin andere Begriffe gewählt, die das „zu Definierende“ umschreiben, und seine Bedeutung so „verstehbar“ machen sollen.
    In wieweit Definitionen dies überhaupt können, ist bereits umstritten, denn ob jemand der nicht weiß was ein Mensch ist, mit der Definition „Zweibeiner ohne Federn (Sokrates)“ automatisch ein klares Verständnis davon hat, was ein Mensch ist, ist zu bezweifeln.
    Definitionen sind in den analytischen Wissenschaften (Mathematik, Logik) hauptsächlich deshalb interessant, weil sie einen unbekannten Begriff mit etwas anderem „gleichsetzen“, und somit durch eben jene „Gleichsetzung“, ein Weiteroperieren mit diesem (bisher bedeutungsunklaren) Begriff ermöglichen.
    Hier kommt Moores Argument ins Spiel:
    Es gibt nichts was mit gut gleichgesetzt werden kann, weder Lust (Hedonismus), noch Glückseligkeit (Peripatos), noch der „Gute Wille“ (I. Kant), noch das „größte Glück für die größte Zahl (Utilitarismus). Versteht man die einfachen (primitiven, ursprünglichen, basalen) Begriffe selbst als ein „organisches Ganzes“ (nicht weiter teilbar), dann können zwar alle diese Eigenschaften Teile dieses Ganzen sein, aber sie können niemals „das Ganze selbst“ repräsentieren (Induktionsproblem), denn es finden sich immer noch andere Begriffe (Mitleid, Gesetzestreue, Gerechtigkeit, etc. pp) die ebenfalls in „dem Guten an sich“ aufgehen.
    => Deshalb kann „das Gute an sich“ nicht durch andere Begriffe definiert werden, da das Ganze, immer mehr ist als die Summe seiner Teile.
    Fazit: Aus Unanalysierbarkeit folgt Unzerlegbarkeit, Unzerlegbarkeit verhindert eine Teilmengenbetrachtung, und deshalb, kann kein anderer Begriff, und auch keine Menge an anderen Begriffen „das Gute an sich“ repräsentieren (bedeutungs-klar machen, oder definieren).

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