Protokoll 24.10.2016: Platons Idee des Guten

Die zweite Sitzung des Seminars wurde Platon und seiner „Idee des Guten“ gewidmet. Zentral für das Thema ist das Verständnis von Platons Begriff der Idee. Für Platon ist die Idee einer Sache ihr Ideal. Das hat zur Folge, dass sie empirisch nicht nachweisbar ist. Eine Idee ist in dieser Hinsicht „abstrakt“; man kann man nämlich nicht fühlen oder sehen. Doch bedeutet „abstrakt“ hier nicht, dass die Idee (wie eine Vorstellung) von den konkreten Dingen „abgezogen“ ist und ihr nachfolgt. Vielmehr geht die Idee den jeweils unter sie Fallenden konkreten Dingen voraus. Für Platon ist die Idee einer Sache ihre Definition oder ihr Begriff. Als Beispiel diente dafür in der Sitzung die Idee eines Baumes. Ein Jeder hat eine Idee eines Baumes. Diese Idee ist ein „Bild“, welches man in seinen Gedanken hat. Aus diesem „Bild“ kann man eine Definition eines Typus in Worte fassen. Für einen Baum gelten Stamm, Äste und Wurzeln als definierende Wesensmerkmale. Anhand dieses Bildes erkennt man in der Natur weitere Gegenstände diesen Kernmerkmalen als dem Typus Baum zugehörig an. Diese Merkmale sind generell und bestimmen einen konkreten Baum nicht bis in das letzte Detail. Es spielt zum Beispiel keine Rolle, welche Blattform der Baum trägt. Denn wir ordnen Gegenstände mit unterschiedlicher Blattform gleichermaßen dem Typus „Baum“ zu. Diese zuvor benannten Merkmale Stamm, Äste und Wurzeln stellen somit die Essenz und das Wesen des Typus Baum dar. Diese Einheit der abstrakten Begriffsmerkmale ist der Maßstab, mit dem es uns möglich ist, sinnlich Erfasstes einem Typus zu zuordnen. Der Maßstab eines Typus steht bei Platon auch gleichzeitig für die Idee eines Typus. Platon erkennt nur die „Ideen“ als wirklich Seiend an, denn die Ideen stehen vor dem sinnlich Erfassbaren. Denn unsere sinnliche Wahrnehmung stellt immer einen Bezug zu einem Konzept her, welches vor der Empirie steht. Konkrete Dinge sind insofern nur „Abbilder“ der reinen Idee.

Dieses Konzept der Idee zeigt Platon in seinem Sonnengleichnis auf. In seinem Sonnengleichnis steht die Sonne für die Idee des Guten. Von der Sonne geht Licht aus. Das Licht ist Bedingung für die Möglichkeit, etwas mit den Augen zu sehen, also auch zu erkennen. Die Sonne ist somit Bedingung für die Erkenntnis, sowie die Idee Bedingung für Erkennbarkeit der Dinge ist. So wie die Sonne den Menschen in die Lage versetzt, etwas zu erkennen, setzt auch die Idee des Guten ein Subjekt in die Lage ein Objekt durch die anderen Ideen zu erkennen. Die Sonne ist also der Erkenntnisgrund des zu erkennenden Objekts. Die Sonne ist aber auch der Seinsgrund für den zu erkennenden Gegenstand, da dieser die Energie der Sonnenstrahlen benötigt, um zu entstehen (zumindest im Falle von Lebewesen). Genauso ist auch nach Platon die Idee zugleich Erkenntnisgrund und Seinsgrund der Dinge in der Welt. Daraus folgt, dass der Mensch nicht Typisierungen nach der empirischen Erfahrung von Dingen anstellt. Diese Theorie nennt man den Empirismus, dessen bekanntester Vertreter Hume ist. Platon steht für die gegensätzliche Theorie des Rationalismus. Kern dieser Theorie ist die Annahme, dass der Mensch die Ideen aller Dinge vor der Geburt „geschaut“ hat und sich in dieser Welt, in der wir uns nun befinden, wieder dieser Ideen erinnern muss. Dies ist die sogenannte „anamnesis“-Theorie (Wiedererinnerung).

Die Idee des Guten an sich ist jedoch über das „Sein an Würde und Kraft hinausragend“ (Politeia 509b). Sie verleiht den anderen Ideen Sinn und ordnet diese. In der Hierarchie der Ideen steht die Idee des Guten über allen anderen Ideen. Mit dieser Voranstellung der Idee des Guten vollzieht Platon einen Sprung vom Sein zum Sollen. Denn es entwickelt sich aus den vorherigen Annahmen ein Regressproblem. Es lässt sich nämlich nicht daraus ableiten, warum alles so ist wie es ist. Es lässt sich zum Beispiel nicht klären, was vor den Ideen gewesen ist. Doch die Idee des Guten bedeutet eine Notwendigkeit des Seins, die nicht hinterfragt werden kann. Es ergeben sich daraus keine weiteren Fragen. Etwas muss notwendig sein und zwar deswegen, weil es gut ist. Vergleichen lässt sich dieser Vorgang mit der biblischen Schöpfungsgeschichte, bei welcher am Anfang Gott die Welt schuf. Daraus stellt sich die Frage, was war, bevor Gott die Welt schuf. Doch in der Schöpfungstheorie steht am Anfang, Gott sagt, die Welt solle sein. Mit diesem Wechsel vom Sein zum Sollen erledigt sich die Frage, was vor der Schöpfung der Welt gewesen ist. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Idee des Guten, welche einen bestimmenden und ordnenden Charakter hat. Dieses Sollen steht über dem Sein und vermeidet den Regress.

In Platons Höhlengleichnis zeigt sich, dass es eine quantitative Steigerung des Seins gibt. Etwas kann mehr oder weniger seiend sein. So sind die Schatten an der Höhlenwand weniger seiend, als der Baum, der sich dem Aufsteigenden nach Verlassen der Höhle zeigt. Grundsätzlich sind die Ideen immer „mehr seiend“ als die konkreten Gegenstände, die darunter fallen.

Vgl. auch den Wiki-Artikel von Leon Nikel zur Bedeutung der Idee des Guten.

Kommentare

Dieser Beitrag hat momentan 4 Kommentare

  • Das Protokoll gibt hervorragend wieder, was im Seminar, sowie in der Übungsveranstaltung dazu, zu Platons Erkenntnistheorie gesagt wurde. => Danke dafür!
    Dennoch möchte ich gern zwei konkrete Punkte (Aussagen) hinterfragen, die selbstverständlich, im Protokoll, genauso wie im Seminar besprochen wieder gegeben wurden, mit denen ich aber, bereits im Seminar selbst leichte Akzeptanzprobleme hatte.
    Der erste Punkt betrifft die Dichotomie zwischen Rationalismus und Empirismus. Hier scheint es üblich zu sein, Platon zu den Rationalisten zu zählen, was aus einer gewissen Perspektive auch einleuchtet, da Rationalisten allgemein davon ausgehen, dass eine Erkenntnis über die Welt möglich ist, oder besser gesagt nur möglich ist, unabhängig von Sinneserfahrungen. Hier schließt Rationalismus, an das lateinische `ratio´ als Verstandesleistung an, und Platons Ideen sind mit Sicherheit eine solche Verstandesleistung, die nach wahrer Erkenntnis, unabhängig von Sinneswahrnehmung sucht.
    Dennoch möchte ich hier leicht häretisch die Frage aufwerfen, ob alles was nur erdacht wird (durch reine Verstandesleistung begründet), auch automatisch rational sein muss, oder ob es dabei nicht auch genauso gut vorkommen kann, dass Irrationalitäten erdacht, und womöglich sogar begründet werden könnten?
    Speziell die These, dass die reine Seele, bereits vor der Geburt alle Begriffe geschaut hätte, scheint mir einen sehr starken religiösen Bezug in sich zu tragen. Wenn ich das als rational akzeptieren würde, dann wäre die unmittelbare Folge daraus, dass die Grenze zwischen der Erkenntnis, dem Wissen, oder der Wahrheit, und dem reinen (an etwas) Glauben sich auflöst.
    Der zweite Punkt schließt an Platons Idee des Guten an, und stellt die Frage ob, und wenn ja in welcher Hinsicht, Platons Idee des Guten dazu geeignet ist das Gute zu sehen, zu finden, oder zu fördern?
    Ich möchte hierzu, kurz Platons schärfsten Kritiker zitieren, dessen Auffassung zu Platon mit Sicherheit in besonderer Weise extrem ist, die sich aber, vielleicht auch, gerade deshalb dazu eignet Platons Ideenlehre dialektisch zu hinterfragen.
    Popper, Karl R. (1992/8. Aufl.) Die offene Gesellschaft und Ihre Feinde, Bd 1., der Zauber Platons. Verlag: Mohr-Siebeck. In der von Hubert Kiesewetter kommentierten Studienausgabe, S. 376, Anm. 32 (2. Abs.), zum Kapitel 8, V, S. 174.
    „Die platonische Idee des Guten ist praktisch leer. Sie gibt uns keinen Hinweis darauf, was im moralischen Sinne gut ist, d. h., was wir tun sollen. Wie insbesondere aus den Anm. 27 und 28 zu diesem Kapitel zu ersehen ist, bekommen wir nur zu hören, dass das Gute in der Welt der Formen oder Ideen am höchsten steht, dass es eine Art Über-Idee ist, aus der die Ideen entspringen und aus der sie ihr Dasein erhalten. Das einzige, das sich aus dieser Bemerkung herleiten lässt, ist, dass das Gute sich nicht verändert, dass es als das Ursprüngliche den anderen Ideen vorausgeht und deshalb alt und ein Ganzes ist; dass deshalb die unveränderlichen Dinge an ihm Anteil haben, d. h., dass das Gute das Bewahrende ist, das Alte, insbesondere die alten Gesetze; und dass der Holismus gut ist. Damit werden wir aber praktisch wieder auf die totalitäre Moral zurückgeworfen.“

  • Auch ich schließe mich der Meinung an, dass das Protokoll sehr gut gelungen ist, das Wesentlichste an Informationen wiedergibt und leicht zu verstehen ist.
    Eine Anmerkung bzw. Frage zur Formalia an die Allgemeinheit:
    Wenn man ein Sitzungsprotokoll oder einen Wiki-Beitrag erstellt und etwas zitiert, bzw. fremdes geistiges Eigentum verwendet; 1) soll man zitieren? 2) wenn ja, im Oxford Stil?
    Ich fände es wichtig sich auf einen einheitlichen Stil zu einigen, da beispielsweise der Verfasser des Protokolls einen anderen Stil verwendet als der Verfasser des 1. Kommentars.

  • Danke Vadym!

    Dass das von Bedeutung sein könnte, war mir nicht bewusst, da ich im Protokoll selbst kein zusammenhängendes Zitat sehe.
    Aber selbstverständlich können wir uns auf einen Zitierstil einigen, respektive Du machst einen Vorschlag, und ich werde den dann der Einheitlichkeit wegen auch genauso anwenden, wie alle anderen es dann hoffentlich auch tun.
    Hier in diesem Beispiel (Gegenüberstellung Protokoll Vincent, zum 1. Kommentar von mir) scheint mir Deine Irritation allerdings, nicht allein im `unterschiedlichen´ Zitierstil zu liegen.
    a) Bei Vincent sehe ich einzelne Begriffe und Ausdrücke, die in eine eigene `erläuternde´ Satzkonstruktion eingebunden wurden. Bsp. das Einzelzitat von Platon „Sein an Würde und Kraft hinausragend“ (Politeia 509b), ist von Vincent eingebunden in den Satz „Die Idee des Guten an sich ist jedoch über das „Sein an Würde und Kraft hinausragend“ (Politeia 509b).“
    b) Während meine Erläuterungsfrage vorangeht (Eigenzitat) „Der zweite Punkt schließt an Platons Idee des Guten an, und stellt die Frage ob, und wenn ja in welcher Hinsicht, Platons Idee des Guten dazu geeignet ist das Gute zu sehen, zu finden, oder zu fördern?“
    Während ich das Popper-Zitat unverändert übernehme, und es in einem word-Format natürlich auch dementsprechend, als zusammenhängendes Zitat einrücken würde.
    (AV.: eingerückt, als zusammenhängendes Zitat) => „Die Platonische Idee des Guten ist praktisch leer. (…) … (…). Damit werden wir aber praktisch wieder auf die totalitäre Moral zurückgeworfen.“ <=
    Entsprechend der Vorlage von Vincent könnte ich auf zwei Arten verweisen:
    Bezugnahme zum Werk (Die offene Gesellschaft, 1992, Bd 1., S. 376); oder:
    Bezugnahme zum Autor (Popper, K. R., 1992, Bd. 1., S. 376).

  • Auch ich würde sagen, dass das Protokoll sehr gut gelungen ist. Dennoch hätte ich mir eine längere Ausführung des Hölengleichnisses gewünscht, da mir nicht ganz klar ist, wie man nach Platons Verständnis andere Menschen in der ersten Stufe der Erkenntnis wahrnimmt. Denn er schreibt, dass die Menschen von Geburt an gefesselt sind und ihren Kopf weder nach links noch nach rechts drehen können (vgl. S514a-514b) und somit die neben Ihnen gefesselten Menschen nicht wahrnehmen können. Hat jemand vielleicht eine Antwort auf meine Frage?

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