Sitzungsprotokoll, 4. Sitzung 07.11.16 – David Humes Sein-Sollens-Fehlschluss

Hume unterscheidet zwei Arten von Erkenntnis:

  1. Relations of ideas: a priori analytische Betrachtungen, rein aus dem Vergleichen von Begriffen (mathematische Gesetze, die Tautologie des Junggesellen, wo das Prädikat im Begriff impliziert ist.)
  2. Matters of fact: a posteriori synthetische (gehaltserweiternde) Urteile durch Induktion, wie „jeden Morgen geht die Sonne auf“.

Humes Moralphilosophie ist direkt auf seine Erkenntnistheorie bezogen.

Er vertritt den non-kognitivistischen Ansatz, „dass Sittlichkeit kein Gegenstand der Vernunft ist“, dass Tugend und Laster nicht als Eigenschaften den Gegenständen anhaften, sondern unmittelbare Perzeptionen des Geistes sind, die in den Menschen selbst liegen. (210 f.)

Letztendlich folgt daraus Humes Position, dass Moral nicht Sache der Vernunft sein kann. Bezüglich des Verhältnisses von Vernunft und Moral kann eine non-kognitivistische Metaethik die Aussage treffen, dass die Vernunft allein weder der Erkenntnis des Guten und Bösen, noch einer Motivation zu Handeln auf Basis dieser Erkenntnis fähig ist. So Humes Thesen.

Es folgt eine Diskussion bezüglich der Erkenntnis, Begründung und Motivation von Moral durch die Vernunft und das Gefühl.

Kann Vernunft Moral erkennen?

Das Vermögen der Vernunft wurde in der Geschichte der Philosophie häufig als die notwendige Bedingung von Moral betrachtet. Sie bietet Allgemeingültigkeit, Objektivität und Universalität hinsichtlich der Erkenntnis und Begründung von Moral. Wie verhält sich Humes Theorie dazu?

Hume begrenzt das Verständnis von Vernunft auf das Denken und den Verstand, diese operieren auf „zwei Arten, das Vergleichen von Vorstellungen und das Schließen aus Tatsachen. Würde die Tugend durch den Verstand entdeckt, so müsste sie [also] Gegenstand der einen oder der anderen dieser Tätigkeiten sein; es gibt keine dritte Tätigkeit des Verstandes, die sie entdecken könnte.“ (204)

Kann Vernunft Moral begründen? (Vgl. auch die Tabelle der Sitzung vom 7.11.2016)

Die Vernunft kann Konsequenzen antizipieren und moralisch im Bezug auf Ideale reflektieren und universalisieren. Vernunft kann als Bedingung für (moralisches) Denken und Handeln aufgefasst werden. Weiter können Rationalität und Begrifflichkeit als notwendigerweise gegeben betrachtet werden.

Nach einer starken kognitivistischen Auffassung wie jener von Kant ist die Vernunft die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, Begründung und Motivation moralischen Handelns.

Nach Humes Auffassung „kann die Vernunft im eigentlichen und philosophischen Sinne unser Handeln nur in zweierlei Weise beeinflussen. Entweder sie ruft einen Affekt ins Dasein, indem sie uns über die Existenz eines seiner Natur entsprechen Gegenstandes belehrt; oder sie zeigt uns die Mittel, irgendeinen Affekt zu betätigen, indem sie den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen aufdeckt. Dies sind die einzigen Arten von Urteilen, die unsere Handlungen begleiten können, und von denen man in gewissem Sinne sagen kann, dass sie dieselben erzeugen.“ (199 f.)

Kann die Vernunft Moral motivieren?

Im Sinne einer instrumentellen Vernunft könnte die Motivation zu moralischem Handeln aus einer konsequenzialistisch-rationalen moralischen Denkweise folgen, die eng mit der Glücksmaximierung verbunden ist. Dies bedeutet, dass die Vernunft letztendlich immer „Sklavin der Affekte“ ist, wie Hume schreibt.

Betrachtet man aber die Motivation zur Moral im Kontext eines sehr starken Vernunftbegriffs, wie dem der reinen praktischen Vernunft bei Kant, welcher Unabhängigkeit der Vernunft von (Glücks-)Gefühlen voraussetzt, rückt das Vermögen zu generalisieren, Maximen und Ideale zu abstrahieren in den Vordergrund. Ideale wie Edelmut oder die Würdigung des Erhabenen und der Harmonie können durch die reine praktische Vernunft zu moralischem Handeln motivieren.

Kann das Gefühl Moral erkennen?

Wenn das Gefühl ein Instrument zu moralischer Erkenntnis hat, ist es das Gewissen. Das Gewissen ist ein problematischer Begriff, es ist weder dem Bereich der Vernunft, noch dem des Gefühls eindeutig zuzuordnen. Zudem ist das Gewissen Ergebnis anthropologischer, sozialer, historischer und biologischer Parameter, und daher als Begriff eher vage und subjektiv (kulturrelativ). Allerdings sprechen auch Argumente dafür, dass eine gewisse Übereinstimmung sehr basaler Normen auf interkultureller Ebene unabhängig-objektiv gegeben ist.

Kann das Gefühl Moral begründen?

Kann das Gefühl von Zuneigung zu anderen oder das Streben nach Glück und Ganzheit normative Gültigkeit begründen? Ausgehend von der Erkenntnis des Sein-Sollens-Fehlschlusses lässt sich nach Hume annehmen, dass die Vernunft generell keine gültige Begründung für die Moral vorbringen kann, da sich normative Aussagen ihrer Art nach außerhalb des Vermögens der Vernunft bewegen.

Fasst man das „Sollen“ im weiteren als Äußerung eines Bedürfnisses auf, impliziert die Normativität bereits das Empfinden im Fühlen des Bedürfnisses. Es besteht offenbar auch durch das Gewissen einiger im Fühlen begründeter Einfluss auf moralische Vorstellungen und Handlungen. Jedoch bleibt die Legitimierung moralischer Urteile aufgrund der Subjektivität des Gefühls problematisch.

Kann das Gefühl Moral motivieren?

Der durch das Empfinden von Mitgefühl ausgelöste Impuls, z.B. einer kranken Person zu helfen, sind oft Grund für uns, moralisch zu handeln. Das würde bedeuten, dass moralisches Handeln als Anlage der Natur zu begreifen sein kann.

Die Empfindungen wie Mitgefühl aber sind, wie auch die des Gewissens, beeinflusst von äußeren Parametern.

Es ist also praktisch möglich, dass Empfinden von Mitleid und Mitgefühl, bzw. „Lust“ und „Unbehagen“ moralisches Handeln motivieren, aber der Affekt ist nicht hinreichend objektiv, um universell moralisch als Maß zu gelten.

Über den Schluss des Normativen aus dem Deskriptiven, den Sein-Sollens-Fehlschluss kann man letztendlich aus verschiedenen Sichtweisen für unterschiedliche Standpunkte argumentieren. Die für Hume zentrale These, man könne aus Tatsachen, dem bloß deskriptiven „Sein“ nicht logisch auf normative Aussagen schließen, bedeutet in ihrer Radikalität einen logischen Fehlschluss innerhalb aller soweit bestehenden moralischen Systeme.

Daraus kann man zumindest ableiten, dass moralische Urteile nicht mittels demonstrativer Vernunft begründet werden können, da sich ihr Gehalt logischer Form entzieht. Dies spricht für den Anteil des Gefühls am moralischen Sinn, rückt aber den Geltungsanspruch jedes moralischen Urteils weit aus dem Bereich der Objektivität, besonders hinsichtlich der Begründung.

Kommentare

Dieser Beitrag hat momentan 5 Kommentare

  • Zum Unterpunkt: Kann das Gefühl Moral erkennen?
    „Allerdings sprechen auch Argumente dafür, dass eine gewisse Übereinstimmung sehr basaler Normen auf interkultureller Ebene unabhängig-objektiv gegeben ist.“

    Welche Argumente sprechen dafür, dass es eine gewisse Übereinstimmung basaler Normen auf interkultureller Ebene gibt?

    Anmerkung: Der in der Sitzung vom 07.11.16 diskutierte Humanethologe Eibel Eibelsfeld hat sich in seinen Arbeiten – soweit ich das überblicken kann – in erster Linie mit der universellen Grammatik menschlichen Verhaltens, nicht jedoch mit universellen Normen und Moralvorstellungen beschäftigt.

    • Dieser Punkt ist aus einem Beitrag in der Aufzeichnung aufgenommen worden. Er findet sich in der Aufzeichnung vom 7.11. ungefähr bei 0:45:24.
      Im Zusammenhang der Frage, ob und inwieweit die Moral durch das Gewissen kulturrelativ beeinflusst ist (Bsp. Legitimität der Sklaventötung i. d. Antike) und insofern unzureichend um objektive Geltung abzuleiten. Daraufhin die Anmerkung, es gebe auch Gründe und Argumente dafür, z.B. bei Kant, der das Gewissen (allerdings nicht als Gefühl) als seinen „inneren Gerichtshof“ beschreibt (in dem die Vernunft urteilt) und der Überzeugung ist, es könne nicht täuschen.
      Daraufhin wurde (0:45:24) eine Beobachtung der Verhaltensforschung erwähnt, aus der hervorgeht, dass bei Kindern unterschiedlichster Kulturen, wenn sie gegen ein Gebot
      verstießen, und damit konfrontiert wurden, die selbe Reaktion beobachtet wurde. Dies spräche dafür, das Gewissen als etwas nicht nur rein abstraktes oder der Vernunft entsprungenes, sondern als zu gewissem Grade auch evolutionäres betrachtet werden kann.

  • Zu diesem Absatz: „Betrachtet man aber die Motivation zur Moral im Kontext eines sehr starken Vernunftbegriffs, wie dem der reinen praktischen Vernunft bei Kant, welcher Unabhängigkeit der Vernunft von (Glücks-)Gefühlen voraussetzt, rückt das Vermögen zu generalisieren, Maximen und Ideale zu abstrahieren in den Vordergrund. Ideale wie Edelmut oder die Würdigung des Erhabenen und der Harmonie können durch die reine praktische Vernunft zu moralischem Handeln motivieren“

    Ich finde zwar Kants Gedanken einer solchen Vernunft sehr positiv und „schön“, jedoch halte ich diese nicht für realistisch. Die Vorstellung, Menschen würden rein aus dem Wissen und der Vernunft heraus „gut“ handeln bzw. moralisch richtig handeln (bspw. einer Person helfen), ohne sich dabei von positiven Konsequenzen beeinflusst zu fühlen, halte ich für eher unrealistisch. An dieser Stelle muss ich immer an Aristoteles denken, welcher damals schon verstanden hatte, dass das menschliche Dasein von der Maximierung des Glücks geprägt wird und auch als Motivation solcher Handlungen dient.
    Ich glaube Kants Sichtweise trifft nur in weniger Fällen zu, nämlich in solchen, in denen bspw. eine akute Gefahrensituation vorherrscht und ein fremder Mensch z.B. in Lebensgefahr schwebt. Man selbst kann nun entscheiden (innerhalb weniger Sekunden) helfe ich oder helfe ich nicht. Ich glaube nur in einer solchen Situation reagiert der Mensch wirklich aus der inneren Vernunft heraus und hilft, ohne an die möglicherweise positiven (oder auch negativen) Konsequenzen seines Handelns zu denken.

    Finde die Zusammenfassung sehr gut strukturiert und inhaltlich gut zusammengefasst =)

    • Nach Aristoteles ist das vollkommene Gute das Wünschenswerteste, dem man nichts hinzufügen kann und wonach alles strebt. Ein tugendhafter Mensch sieht seine Handlungen als gut und zugleich genussreich an, sodass er dadurch ein vollkommenes Leben erreicht bzw. erstrebt. Nach Kant gibt es in der Moral eindeutige, allgemeingültige Regeln und Gesetze, was wir tun sollen und die gibt es nicht, wenn wir Glückseligkeit erreichen wollen. So kann es kein Moralprinzip geben, dass allein auf Glückseligkeit basiert, da dieses von der Willkür der Subjekte geprägt ist und dabei kein objektiver Maßstab für Moral zu finden ist. Wieso sollen Menschen überhaupt moralisch handeln? Laut Kant ist es unsere oberste Pflicht Gutes zu tun und wenn wir autonom handeln, erlangen wir Freiheit. Die vernünftigen Wesen werden außerdem durch die Achtung vor dem Sittengesetz motiviert. Zudem handeln diese um der Moral willen moralisch. Darüber hinaus gibt es eine (unvollkommene) Pflicht anderen in Not zu helfen, da man eine Welt nicht wollen kann, in der keiner dem anderen hilft. So würde man sich nämlich seiner eigenen Glückseligkeit berauben. In seinen Werken begründet Kant, dass Moralität ohne eine Universalisierung der Maximen und ein objektives Moralgesetz nicht feststellbar ist. Moralische Handlungen können nicht aus Neigungen und Wünschen heraus erfolgen, da dies zu willkürlich wäre, weil jeder etwas anderes wünscht. So handeln Menschen aus der Pflicht heraus moralisch, da zudem jede andere Möglichkeit, z.B. aus Neigung zu handeln, niemals für alle Menschen als allgemeines Gesetz gelten könnte.

  • In diesem Beitrag möchte ich mich ausschließlich der `Kognitivismus Debatte´ widmen, und diese zunächst bipolar anhand ihrer Frontlinien um skizzieren, um danach, beispielhaft Argumente für die eine, sowie auch für die andere Seite aufzeigen und im Ergebnis festhalten, dass es bei dieser `Disputation´ weniger um objektive, beinharte, und schlüssig begründbare (Grund-)Haltungen und unabänderliche Überzeugungen geht, sondern vielmehr um Akzeptanzen, Einordnungen, und Verfahrensstreitigkeiten.
    Mein Ergebnis wird also zum Schluss lauten, dass die beiden widerstreitenden Auffassungen:
    1. David Hume ist/war ein Nonkognitivist;
    2. David Hume ist/war ein Kognitivist;
    alle beide sehr gute Gründe vorweisen können und somit, das Entscheiden für die ein oder andere Seite nur von jedem persönlich, durch individuelles Abgleichen mit den eigenen Überzeugungen entschieden werden kann.
    I. Im ersten Schritt nenne ich die Argumente dafür, dass David Hume ein Nonkognitivist ist/war, und werde deren Berechtigungsmerkmale `unparteiisch´ herausarbeiten, so dass jeder mitlesende, und hoffentlich danach auch eigenreflektierende Seminarteilnehmer, für sich selbst beurteilen kann, ob die im ersten Schritt der Dialektik vorgebrachten Argumente und die dazugehörigen `kategorialen´ Einordnungsparameter für ihn oder sie persönlich überzeugend sind.
    => Ich selbst trete zwar dieser Haltung entgegen, sage damit aber nicht, dass weniger für sie sprechen würde, sondern kennzeichne so, nur meine eigene subjektive Schwerpunktsetzung.
    II. Im zweiten Schritt dieser Dialektik nenne ich dann, Gründe dafür dass David Hume ein Kognitivist ist/war, ich nehme also die Antithese zu I. auf, und charakterisiere diese auch zunächst betont sachorientiert, allein nur ausgerichtet an den reinen Sach- und Bedeutungsinhalten der hier anzuführenden Argumente, so dass es weiterhin jedem Seminarteilnehmer selbst überlassen bleibt, sich entweder mit der Einen (I.), oder mit der Anderen (II.) Haltung zu identifizieren.
    => Ich selbst befürworte zwar die zweite Haltung (II.), aber dieses subjektiv getroffene Werturteil, fußt dabei, ganz allein auf meiner persönlichen Einstellung zum Verhältnis von `Sittlichkeitslehre´, `positivem Recht´ und `gesellschaftlicher Übereinkunft.´
    Beginn der Dialektik:
    Quelle: Kognitivismus / Nonkognitivismus – Christoph Lumer – (Erschienen in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Bd. 1. Hamburg: Meiner 1999. S. 695-699.)
    I. Kognitivismus (bzw. Nonkognitivismus) ist allgemein:
    I.1. die These oder eine Theorie, die die These vertritt, daß bestimmte Fragen prinzipiell (nicht) rein kognitiv, d.h. durch Erkenntnis, etwa mit wissenschaftlichen oder wissenschaftsähnlichen Mitteln, entscheidbar sind.
    I.2. ‚Prinzipiell kognitiv entscheidbar sein‘ soll dabei heißen: Es gibt Erkenntnisverfahren, die, wenn sie in bestimmten Situationen angewendet werden würden, zur Entscheidung führen würden.
    I.3. Nach kognitivistischen und nonkognitivistischen Theorien wird insbesondere in der Ethik unterschieden:
    => Ethisc thischer (Non-)Kognitivismus ist also: die These oder eine Theorie, die die These vertritt, daß moralische Fragen prinzipiell (nicht) rein kognitiv entscheidbar sind.

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